Eine besondere Woche: Erasmus-AG in Polen

Tag 1:

Krakau, 13:55 Uhr: Nach einem kurzweiligen Flug und einem kurzen Schreckmoment wegen eines zunächst verlorenen, dann wieder aufgetauchten Koffers schlendern 20 unserer Schülerinnen und Schüler, unsere Schulleiterin Frau Keßler sowie meine beiden Kolleginnen Frau Rasel und Frau Rosendahl-Ackermann durch einen kleinen Flughafen. Die Jüngsten aus der Gruppe besuchen die 9. Klasse, die Ältesten die Q1. Viele kannten sich vor der Reise kaum oder nur vom Sehen, doch die gemeinsame Zeit in Polen wird sie näher zusammenbringen.

Am Ausgang des Flughafens wartet gespannt eine weitere Gruppe Jugendlicher. Die stellvertretende Schulleiterin Frau Szczurek steht vor ihnen und lächelt uns zur Begrüßung herzlich zu. Sie ist in Begleitung eines ebenfalls engagierten Deutschlehrers, Herrn Maciuszek, der einen mit seiner Hilfsbereitschaft und Herzlichkeit ebenfalls regelrecht überrumpelt.

Im Bus werden wir mit einem besonderen Willkommensgeschenk überrascht: polnisches Gebäck. Genau das, was viele aus unserer Reisegruppe in diesem Moment brauchen. Nach dem Einchecken im Hostel geht es zu einer ersten Führung durch die Altstadt von Krakau. Die Schülerinnen und Schüler sind beeindruckt von dem historischen Glanz und Charme der Stadt, der mit vielen anderen europäischen Metropolen durchaus mithalten kann. Unser Eindruck wird Marienkirche in Krakau gekrönt, dem Wahrzeichen der Stadt. Sie wurde im 15. Jahrhundert im Stil der Gotik erbaut.

Zum Abendessen geht es dann noch in ein traditionelles polnisches Restaurant, und das Essen begeistert ausnahmslos alle – so sehr, dass einige am nächsten Tag lieber traditionell essen wollen statt „in irgendeinem McDonald’s“.

Tag 2:

Der zweite Tag beginnt mit einer Stadtführung durch das jüdische Viertel, in dem zahlreiche Spuren des einst blühenden jüdischen Lebens sichtbar sind. Spuren an den Türpfosten erinnern daran, dass hier einst beschriftete Pergamentrollen (Mesusot) angebracht waren.

Am Vormittag gibt es dann ein Zeitzeugengespräch. Anna Janowska-Ciońćka wurde am 5. Mai 1936 als Hanna Kleinberg in einer polnischen jüdischen Familie in Krakau geboren. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges veränderte sich ihr gesamtes Leben schlagartig. Sie verlor viele ihrer Verwandten und musste sich mit ihrer Mutter und ihrer Schwester verstecken. Dabei hat ihnen ein angeheirateter Verwandter geholfen, der sich den Gefahren zum Trotz, sie unter einem falschen Namen in einen anderen Ort brachte. Sein Name war Marian Sikorski und er wurde 1996 in die Liste der Gerechten unter den Völkern aus Polen aufgenommen.

Ihre bewegende Geschichte berührt die Schülerinnen und Schüler tief und führt ihnen vor Augen, wie antisemitische Vorurteile und Angriffe sogar nach dem Krieg weitergingen. In einem persönlichen Gespräch vertraut sie mir an, dass sie auch heute noch vorsichtig ist, sich offen als Jüdin zu zeigen. Dennoch freut sie sich über das Interesse und die Fragen unserer Gruppe und spricht über die Verantwortung, solche Verbrechen nie zu wiederholen.

Am Abend besuchten wir das Salzbergwerk Wieliczka, eines der ältesten und berühmtesten der Welt. Tief hinab in die Stollen steigend, erfuhren die Schülerinnen und Schüler spannende Details zur Geschichte und kulturellen Bedeutung dieses einzigartigen Ortes. Besonders beeindruckend fanden viele die unterirdische Kapelle, die vollständig aus Salz gefertigt ist. Als Souvenir kauften einige Salz aus dem Bergwerk – das Salz, welches zuvor durch das Berühren und Probieren direkt von den Wänden noch eindrucksvoller wurde.

Tag 3:

Der Morgen beginnt süß – mit einem Besuch in einer Schokoladenmanufaktur, wo die Schüler ihre eigene Schokolade herstellen dürfen. Dieses Erlebnis bietet eine willkommene Abwechslung vor einem Tag voller eindrucksvoller und emotionaler Erlebnisse. Der zentrale Programmpunkt des Tages ist der Besuch in Auschwitz-Birkenau. Der Ort ist voller, als ich es mir selbst vorgestellt habe, und dabei soll es ein wenig besuchter Tag gewesen sein. Eine deutschsprachige Frau stellt sich vor und erklärt uns die Geschichte und Bedeutung vieler Ausstellungsstücke im Museum. Die Schülerinnen und Schüler hören still und aufmerksam zu und gehen anschließend durch die ehemaligen Gebäude. Das Innere der Gaskammer und die schreckliche Geschichte, die sie symbolisiert, macht viele und auch mich sprachlos. Danach besuchen wir das weitläufige Gelände von Birkenau – Bilder, die die Schüler sonst nur aus dem Schulbuch kennen, stehen nun real vor ihnen. Die völlige Entmenschlichung der Opfer wird in jedem Detail sichtbar, und es herrscht eine ergriffene Stille, die niemand durchbricht. Niemand greift zum Handy, außer um die bedrückende Atmosphäre festzuhalten.

Viele Schüler teilen mir mit, dass der Eindruck so aufwühlend war, dass sie sich am selben Tag nicht in der Lage fühlen, ihre Gedanken über den Tag mit mir zu teilen.
Abends im Bus werden die Schülerinnen und Schüler ihren polnischen Austauschfamilien zugeteilt. Am nächsten Tag ist von Unsicherheit nichts mehr zu spüren – nur noch Dankbarkeit und Herzlichkeit gegenüber den Gastgeberfamilien, die sich sehr liebenswert um die Schülerinnen und Schüler aus Deutschland kümmern.

Tag 4:

Am nächsten Morgen erzählen mir die Schülerinnen und Schüler begeistert von der Gastfreundschaft ihrer Familien und den gemeinsamen Unternehmungen mit den polnischen Jugendlichen. Schließlich ist das Ziel des Erasmus-Austauschs, Freundschaften zu knüpfen und Vorurteile abzubauen – und das gelingt hier eindrucksvoll.

Doch zunächst geht es in die Galeria Sztuki Mgr Mors Karo des bekannten Street-Art-Künstlers Mariusz Brodowski. Er gibt den Schülerinnen und Schüler allerlei Mittel (Klobürsten, Fliegenklastschen etc.), um die Eindrücke der letzten Tage kreativ auf einer leeren Leinwand festzuhalten. Die entstandenen Werke spiegeln die Erfahrungen und die vielen neuen Perspektiven wider.

Anschließend arbeiten die Schülerinnen und Schüler zusammen mit den polnischen Jugendlichen an einer gemeinsamen Präsentation und treten danach bei einem Volleyballmatch gegeneinander an – gemischte Teams, denn hier spielt niemand mehr „Deutschland gegen Polen“. Der Nachmittag in der Turnhalle zeigt deutlich, wie weit alle in nur wenigen Tagen zusammengewachsen sind. Am Abend besichtigen wir die Stadt Nowy Sącz, bevor die Schüler wieder zu ihren Gastfamilien zurückkehren.

Tag 5:

Am letzten Morgen empfangen uns lange, traurige Gesichter. Stolz zeigen die Schülerinnen und Schüler mir die Geschenke, die sie von den Gastfamilien bekommen haben. Es ist schwer, sich von den neuen Freunden zu trennen. Vor der Abfahrt versammeln wir uns ein letztes Mal in der Schule, wo die polnischen Schülerinnen und Schüler ein Lied spielen und der Schulleiter seine Dankesworte spricht. Der Abschied ist voller Umarmungen und Erinnerungsfotos.

Am Flughafen Düsseldorf angekommen, warten die Eltern bereits. Als ich die Schüler frage, wie ihnen die Fahrt gefallen hat und ob sie Verbesserungsvorschläge haben, bekomme ich nur positive Rückmeldungen – die Reise hat sie tief bewegt und ihnen wertvolle Erfahrungen vermittelt.

Als ich nach Hause komme, bin auch ich traurig, dass diese Reise zu Ende ist. Sie zeigt mir, wie wichtig solche Austauschprogramme sind und wie lehrreich sie sein können – oft weitaus mehr als viele Schulwochen im Klassenzimmer. Ich hoffe, dass wir auch in Zukunft solche Fahrten anbieten können und damit weiteren Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit geben, wertvolle Erfahrungen zu sammeln.

In diesem Sinne: do widzenia.

Bericht und Fotos: Mehmet Akyazi